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Stresstest für Verbraucher
WIRTSCHAFTSAUSBLICK
Juni 2023
Bruno Cavalier – Chefökonom ODDO BHF
Oft wird gesagt, dass Aufschwungphasen keines natürlichen Todes sterben, sondern von den Notenbanken beendet werden. Denn bei jedem Aufschwung kommt irgendwann der Zeitpunkt, an dem sich die Anzeichen für eine konjunkturelle Überhitzung häufen. Das wiederum führt unweigerlich zu einer Straffung der Geldpolitik und nach einer gewissen Zeit zu einem Konjunkturumschwung.
Auch der Aufschwung nach der weltweiten Rezession im Jahr 2020 passte zunächst in dieses Muster. Zuerst sorgten die Maßnahmen zur Überwindung der Auswirkungen des Lockdowns für starke Impulse. Anschließend folgte ein seit vier Jahrzehnten nicht mehr erlebter Inflationsschub. Die Notenbanken reagierten darauf mit einer Anhebung der Leitzinsen in einem geradezu atemberaubenden Tempo. Eine weltweite Rezession wird schon seit mindestens einem Jahr befürchtet, ist aber bislang noch nicht eingetreten. Zwar hat sich das Wachstum überall verlangsamt, doch hat dies bislang weder zu Arbeitsplatzverlusten noch zu Gewinneinbrüchen oder Nachfragerückgängen geführt, wie sie in Rezessionsphasen normalerweise zu beobachten sind.
Die gleichzeitige Resilienz der Beschäftigung, der Gewinnspannen und der Nachfrage ist auf die atypischen Störungen infolge der Pandemie zurückzuführen. Dadurch kam es auf dem Arbeitsmarkt zu einem Mangel an Arbeitskräften. Infolgedessen stellten die Unternehmen sogar noch im Frühjahr 2022, als die Erholung bereits an Schwung verlor, weiterhin Arbeitskräfte ein. Parallel dazu mussten die Unternehmen auf positive Nachfrageschocks reagieren. Zu Beginn der Pandemie war die Nachfrage nach Fertigerzeugnissen hoch, wodurch die Industrie und die Logistik unter Druck gerieten. In der Wiederöffnungsphase herrschte dann starker Nachholbedarf bei Freizeit-, Gastronomie- und Tourismusangeboten. Durch die Wiederholung dieser Schocks reagierte die Nachfrage zunehmend weniger elastisch gegenüber Preissteigerungen. Die Preissetzungsmacht der Unternehmen hat zugenommen. Schließlich wirkte als Puffer, dass die Haushalte aufgrund der eingeschränkten Mobilität Ersparnisse angehäuft hatten. Daher mussten sie ihre Ausgaben nicht einschränken, obwohl die Reallöhne sanken.
In den nächsten Quartalen wird die Widerstandsfähigkeit der Verbraucher auf eine harte Probe gestellt. Erstens sind zwar immer noch reichlich Sparüberschüsse vorhanden, doch diese dürften rasch wieder auf ein Normalniveau zurückgehen.
In den USA haben sie sich gegenüber ihrem Höchststand bereits halbiert. Beim derzeitigen Tempo sollten sie gegen Ende 2023 oder Anfang 2024 aufgebraucht sein. Die Konsumtrends werden sich dann wieder an die Einkommenstrends angleichen.
Zweitens werden die Unternehmen nun weniger Spielraum haben, ihre Margen auszuweiten. Angebotsengpässe im Transport-, Logistik- und auch im Energiesektor wurden überwunden. Infolgedessen hat sich der Druck am Anfang der Preiskette aufgelöst. In einer Phase der Normalisierung der Profitabilität wäre es erstaunlich, wenn die Unternehmen ihre Ausgaben für Investitionen und Personalbeschaffung nicht zügeln würden. Angesichts eines Wirtschaftswachstums, das unter seinem Potenzial bleibt, ist daher ein Anstieg der Arbeitslosenquoten wahrscheinlich. Der aktuelle Stand dürfte in jedem Fall kaum noch zu unterbieten sein (Grafik).
Drittens haben sich die Kreditbedingungen seit einem Jahr immer weiter verschärft. Als Reaktion darauf ging die Kreditnachfrage des Privatsektors zurück, insbesondere nach der jüngsten Bankenkrise in den USA. In der Eurozone kamen die Kreditströme der Banken seit Jahresbeginn fast zum Versiegen. Besonders stark fällt die Korrektur bei den Immobilienkrediten aus.
Viertens schlägt auch die Wirtschaftspolitik eine zunehmend restriktivere Richtung ein. Im Haushaltsbereich ist durch den Zinsanstieg die Dynamik der Staatsverschuldung wieder in den Fokus gerückt. Die Mini-Haushaltskrise in Großbritannien im vergangenen Herbst hat gezeigt, dass die Sorglosigkeit der Märkte ihre Grenzen hat. Um nicht dasselbe Schicksal zu erleiden, haben die europäischen Regierungen ihre mittelfristige Haushaltsplanung eher restriktiv ausgestaltet. Nach Angaben der Europäischen Kommission machen die Haushaltsausgaben im Jahr 2024 ca. einen Prozentpunkt des BIP aus. In den USA deutet die vor kurzem ausgehandelte Vereinbarung über die Anhebung der Schuldenobergrenze auf einen moderaten Sparkurs in den nächsten zwei Jahren hin.
Im Bereich der Geldpolitik wird sich der restriktive Kurs nur mit großem Zeitverzug auswirken und erst 2024 vollumfänglich spürbar sein. Es stellt sich zudem die Frage, ob die Notenbanken, nachdem sie zu spät auf den sich bereits 2021 abzeichnenden Inflationsschub reagiert haben, 2023 nicht den umgekehrten Fehler machen könnten. Waren sie damals zu unterstützend und heute zu restriktiv? Zwar ist die Inflation trotz eines leichten Rückgangs unbestreitbar weiterhin sehr hoch. Am Anfang der Preiskette ist jedoch eine erhebliche Verminderung des Drucks erkennbar. Dieses Phänomen wird sich über die nachgelagerten Bereichen auf den Endverbraucher auswirken. Eine weitere geldpolitische Straffung, wie sie die EZB beabsichtigt, würde aber bedeuten, dass man lediglich auf vergangene Schockwellen reagiert anstatt auf die wirtschaftlichen Bedingungen, die sich für die Zukunft abzeichnen.
Insgesamt betrachtet ist aufgrund der Disinflation in den nächsten Quartalen sicherlich eine weniger starke Belastung der Kaufkraft der Haushalte zu erwarten. Die Determinanten des verfügbaren Einkommens (Beschäftigung, Löhne, Nettotransfers) werden sich alle in eine weniger günstige Richtung entwickeln. Alles in allem ist es ein Stresstest, dem sich die Verbraucher in Europa und den USA in den nächsten Monaten stellen müssen.
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