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BLICK AUF DIE FINANZMÄRKTE
07.06.2022
Die Sitzungen am Ende eines Quartals nutzen die Notenbanker in den USA und in Europa in der Regel dazu, die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage grundlegender zu überprüfen und die Geldpolitik neu zu justieren. Die EZB hat im Rahmen der neuesten Projektionen die Wachstumserwartungen für 2022 und 2023 weiter nach unten angepasst, ihre Inflationsprognosen allerdings erneut und erheblich nach oben setzen müssen. Die neue Projektion setzt die Inflationsrate im Euroraum mit 6,8% (2022, bisher 5,1%), 3,5% (2023, bisher 2,1%) bzw. 2,1% (2024, bisher 1,9%) an. Für das Wirtschaftswachstum prognostiziert die EZB 2,8% (2022, bisher 3,7%) bzw. 2,1% (2023, bisher 2,8% sowie 2,1% (2024, bisher 1,6%).
Vor diesem Hintergrund hat sich der EZB-Rat nun durchgerungen, die Geldpolitik neu auszurichten. Der Rat hat auf seiner Sitzung am 9. Juni in Amsterdam den von EZB-Präsidentin Christine Lagarde skizzierten geldpolitischen Fahrplan bestätigt: Anfang Juli werden zunächst die Anleihekäufe eingestellt werden, bei der Juli-Sitzung des Rates soll dann eine erste Zinserhöhung vorgenommen werden. Einen zweiten Zinsschritt stellt die EZB für September 2022 in Aussicht; hier deutet der Rat sogar eine Erhöhung um 0,5 Prozentpunkte an. Jenseits davon plant der EZB-Rat „graduelle, aber kontinuierliche“ Erhöhungen. Um die hoch verschuldeten Länder der Peripherie gegen eine übermäßige (?) Ausweitung der Renditeaufschläge („Fragmentierung“) abschirmen zu können, setzt die EZB im Bedarfsfall auf die Wiederanlage der im Rahmen des Pandemie-Ankaufprogramms verfügbaren Mittel. Diese könnten, so die EZB, hinsichtlich des Zeitpunkts, der Jurisdiktion und der Assetklasse flexibel eingesetzt werden, um Beeinträchtigungen der Geldpolitik zu verhindern. Die EZB macht sich startklar.
Die US-Notenbank („Fed“), deren Offenmarktausschuss sich am 14./15. Juni erneut zu Beratungen trifft, ist deutlich weiter: Das Zielband für den Leitzins wurde seit März 2022 um 0,75 Prozentpunkte auf 0,75-1,00% angehoben, und Anfang Juni hat die Reduzierung der Anleihebestände um bis zu 47,5 Mrd. US$ monatlich begonnen (ab September: bis 95 Mrd. US$). Für die bevorstehende Sitzung wird eine Anhebung der US-Leitzinsen um einen halben Prozentpunkt erwartet, perspektivisch stehen weitere Erhöhungen dieser Größenordnung auf der Agenda. Wir gehen nicht davon aus, dass die Fed schon jetzt eine Verlangsamung des Zinserhöhungstempos signalisieren wird.
Beide Notenbanken gehen in ihren Basisszenarien davon aus, dass die Inflationsraten in diesen Monaten ihren Höhepunkt erreichen werden. Tatsächlich lag die US-Inflationsrate (CPI) im April erstmals seit sieben Monaten unter dem Stand des Vormonats. Das bedeutet aber nicht, dass die Inflation von selbst verschwindet. Zum einen bleibt die Versorgungslage auf dem Energiemarkt angespannt, so dass verminderte Energielieferungen aus Russland oder ein Erdgasembargo neue Verwerfungen im Preisgefüge auslösen könnten. Zum anderen ist die „Eigendynamik“ der Inflation gestiegen, zum Teil aus strukturellen Gründen („De-Globalisierung“, demografische Einflüsse auf den Arbeitsmarkt, Klimapolitik), zum Teil aufgrund von Covid-induzierten Einschränkungen des Angebots (z.B. Lieferengpässe in der Automobilindustrie), zum Teil infolge von Zweitrundeneffekten und gestiegenen Inflationserwartungen.
In den USA ist zu berücksichtigen, dass die Nachfrage – vermutlich durch die massiven finanzpolitischen Stimulierungsmaßnahmen unter Trump und Biden und die steigende Beschäftigung begünstigt – weiterhin dynamisch wächst und der Arbeitsmarkt außerordentlich eng ist. Die Arbeitslosenquote liegt bei 3,6%, das Verhältnis offener Stellen zur Zahl der Arbeitslosen bei 2:1 (vgl. Abbildung). In jüngster Zeit allerdings liest man, gerade auch im Technologiesektor, Meldungen über Einstellungsstopps, (z.B. Amazon, Meta, Walmart) oder Pläne für einen Personalabbau (z.B. Tesla).
Eine nachhaltige und sichtbare Beruhigung der Preisentwicklung (mit einem Rückgang der Inflationsraten unter 4 %) ist auch unter relativ günstigen Umständen kaum vor dem Frühjahr nächsten Jahres zu erwarten. Diese Verschärfung der Inflationssituation über die letzten Monate lässt der Notenbank wenig Handlungsspielraum. Wir gehen deshalb davon aus, dass die Notenbanken den geldpolitischen Stimulus zügig zurückführen werden. Das neutrale Zinsniveau, das für die USA mit etwa 2,5%, für den Euroraum mit rund 1,5% anzusetzen ist, dürfte im Laufe des nächsten Jahres erreicht werden. Ob darüber hinaus gehende Zinserhöhungen notwendig werden, muss sich erweisen. Wir halten die Wahrscheinlichkeit allerdings gerade in den USA, wo die Wirtschaft stark ausgelastet ist, für hoch.
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