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Geldpolitik: zu viel oder zu wenig?

Marktanalyse 15.02.2023

WIRTSCHAFTSAUSBLICK

16.02.2023

 

Bruno Cavalier – Chefökonom ODDO BHF

 

 

WESENTLICHE PUNKTE:

  • In fast allen Ländern ist die Geldpolitik restriktiv ausgerichtet.
  • Die erste Teuerungswelle, bei der die Energie- und Güterpreise im Fokus standen, ebbt rasch ab.
  • Die zweite Preissteigerungswelle betrifft dagegen den Dienstleistungsbereich und gewinnt weiter an Dynamik.
  • Angesichts der ausbleibenden Rezession haben die Notenbanken keinen Grund, bei ihrer Geldpolitik den Rückwärtsgang einzulegen.


Als die Weltwirtschaft 2021 von einer ersten Inflationswelle erfasst wurde, kam von den Notenbanken von wenigen Ausnahmen abgesehen keine Reaktion, da man davon ausging, dass sich dieser Preisschock von selbst regulieren würde. Die unvorhergesehenen Lockdowns, die kurz darauf folgenden Wiederöffnungen, die Unterstützungsmaßnahmen für Privathaushalte und Unternehmen – diese mit der Pandemie verbundenen Faktoren würden nach und nach an Bedeutung verlieren. Tatsächlich haben die Lieferzeiten für Waren sich inzwischen wieder normalisiert, die Knappheit an bestimmten Gütern ist weitgehend überwunden, und die Preise für Rohstoffe sind größtenteils nicht mehr auf Höchstständen.

Als sich Anfang 2022 jedoch der Beginn einer zweiten Inflationswelle abzeichnete, leiteten fast alle Notenbanken eine rasche Wende in ihrer Geldpolitik ein. Dieser zweite Preisschock, der auftrat, als der erste noch nicht abgeklungen war, gab Anlass zu der Befürchtung, die Wirtschaft könne in eine mit den 1970er Jahren vergleichbare Inflationsspirale abgleiten. Im Verlauf von 2022 zogen die Notenbanken der Industrieländer daraufhin die geldpolitischen Zügel in einem bis dahin ungekannten (oder nur sehr selten erlebten) Tempo an. In den vergangenen Wochen haben sie zwar einen Gang zurückgeschaltet, halten aber weiterhin an ihrem restriktiven Kurs fest. Die US-Notenbank hat den Leitzins in weniger als zwölf Monaten um 450 Basispunkte angehoben, die EZB um 300 Basispunkte usw. (Grafik) 

Nun stehen die Notenbanken an einem Punkt, an dem sie eine Bestandsaufnahme machen und über das weitere Vorgehen entscheiden. Wurde die Nachfrage ausreichend gedämpft, um die Teuerung einzudämmen? Haben sie eine zu aggressive Politik gefahren und damit eine Rezession riskiert? Kann es überhaupt gelingen, die Inflation unter Kontrolle zu bringen, ohne die Konjunktur abzuwürgen? Das sind die zentralen Fragen, die sich jetzt stellen. 

Insgesamt schlägt sich die Wirtschaft besser als befürchtet. Die Arbeitsmärkte sind weiterhin robust. Die Arbeitslosenquoten sind auf dem niedrigsten Stand seit Jahrzehnten. Die Konjunktur in den Vereinigten Staaten verliert zwar an Schwung, befindet sich aber nicht in einer Rezession. Europa steht kurz vor der Stagnation, aber da es diesen Winter keine Stromausfälle gab, kam es nicht zu schwerwiegenden Produktionseinbrüchen. Zuletzt haben sich die Aussichten durch die Wiederöffnung Chinas und die damit verbundenen Hoffnungen etwas aufgehellt.  So erhöhte der IWF beispielsweise im Januar erstmals seit einem Jahr seine Prognose für das weltweite Wachstum. Die Anhebung fiel mit +0,2% für 2023 (von 2,7% auf 2,9%) nach +3,4% im Jahr 2021 zwar minimal aus, war aber ein wichtiges Signal.  

Was die Teuerungsraten angeht, so ist in vielen Ländern seit einigen Monaten ein Rückgang zu beobachten.  Unseren Berechnungen zufolge lag die globale Inflation Ende 2022 annualisiert bei rund 8,5%, nachdem sie im vergangenen Herbst mit 9,5% ihren Höchststand erreicht hatte. Zwar geht die Entwicklung in die richtige Richtung. Mit einem derart hohen Niveau können sich die Notenbanken jedoch nicht zufriedengeben. Darüber hinaus verläuft der Rückgang der Preissteigerungen je nach Land und je nach Preiskomponente unterschiedlich.

Angesichts dieser Bedingungen befinden sich die Notenbanken in einer schwierigen Lage, in der es gut abzuwägen gilt. Drehen sie zu stark an der geldpolitischen Schraube, könnten sie die Wirtschaft übermäßig schwächen. Lassen sie die Maßnahmen zu früh auslaufen, könnte dies den Inflationsdruck wieder anheizen. Je nach Region stellt sich die Problematik unterschiedlich dar. 

Die US-Notenbank nimmt die letzte Etappe ihres Straffungszyklus in Angriff. Mittelfristig sieht ihr geldpolitischer Ausschuss die Notwendigkeit von zwei weiteren Zinserhöhungen um je 25 Basispunkte. Anschließend dürfte er zunächst eine Pause einlegen, um abzuwarten, ob sich die Inflation in Richtung des gewünschten Zielwerts bewegt. Bei Ausbleiben einer Rezession scheint eine rasche geldpolitische Lockerung unwahrscheinlich. Dies ist die Erwartungshaltung eines großen Teils der Marktteilnehmer. Im Gegensatz dazu hätte die US-Notenbank bei anhaltendem Lohndruck allen Grund, an ihrer restriktiven Geldpolitik festzuhalten oder sie sogar noch weiter zu verschärfen.
Die Europäische Zentralbank befindet sich sogar in einer noch schwierigeren Lage als die Fed.  Der Rückgang der Teuerung hat in Europa erst später eingesetzt als in den USA. Und er startet von einem höheren Niveau aus. Vor allem geht die Inflation derzeit nur bei den Energiepreisen zurück, eine Komponente, auf die die EZB keinen Einfluss hat. Weder bei Nahrungsmitteln noch bei verarbeiteten Gütern, Dienstleistungen und Löhnen wurde der Höhepunkt bereits erreicht. In der Eurozone ist die Disinflation bisher nur eine Hoffnung, aber noch keine Realität.  Infolgedessen bleibt die EZB bei ihrer restriktiven Haltung. Die Zinserhöhungen werden in hohem Tempo weitergehen, eine Pause ist frühestens Mitte des Jahres zu erwarten. 

Mit Ausnahme von Japan - dem einzigen Land, in dem die Geldpolitik im vergangenen Jahr nicht verschärft wurde - nähern sich auch die anderen Industrieländer dem Ende ihres geldpolitischen Straffungszyklus. Auch dort ist die Inflation noch weit von ihren Zielwerten entfernt. Von den Besonderheiten der einzelnen Länder abgesehen, haben alle gemeinsam, dass die Geldpolitik fast überall restriktiv ist und dies auch noch eine ganze Weile bleiben wird. Eine Zeitenwende. Nach der Finanzkrise von 2008 hatte man sich an eine lockere und sogar ultralockere Geldpolitik gewöhnt. Nirgends spürt man heute die Lust auf eine Kehrtwende. 

 

 

 


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