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Fünf Fragen, die die Märkte derzeit bewegen

Marktanalyse 15.06.2023

Blick auf die Finanzmärkte

Juni 2023

 

Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF

 

 

Die Finanzmärkte waren in den vergangenen Jahren einer Reihe außergewöhnlicher Ereignisse ausgesetzt. Wir möchten unsere Antworten auf zentrale Fragen äußern, die uns Anleger häufig stellen.

1. Wohin werden sich die Zinsen entwickeln?

Die Inflation hält hartnäckiger, als Ökonomen vor einigen Monaten noch erwartet hatten. Zwar ging der Anstieg des Verbraucherpreisindex in der Eurozone nach einem Höchststand von 10,6 % im Oktober 2022 bis Mai 2023 auf 6,1 % (vorläufige Daten) zurück. Doch trotz dieses Rückgangs liegt die Inflation immer noch deutlich über dem von der EZB festgelegten Ziel von 2 %. Die auf Inflationsswaps basierenden Signale der Finanzmärkte deuten auf die Erwartung der Marktteilnehmer hin, dass die Inflationsrate in der Eurozone nicht vor dem Frühjahr 2024 auf weniger als 3 % sinken wird.        

Vor allem die Preisentspannung auf den Märkten für Energie und Lebensmittel führte zu einer Abschwächung der Gesamtinflation, auch wenn die Kerninflationsrate – die die volatilen Preise für Energie, Lebensmittel, Tabak und Alkohol ausschließt – mit 5,3 % im Mai 2023 (vorläufige Daten) in der Eurozone unangenehm hoch bleibt. Wir sehen derzeit Zweitrundeneffekte: Die Lohnforderungen steigen und die hohen Energiepreise der Vergangenheit schlagen sich in den Preisen einiger Nichtenergieprodukte nieder.

Aus all diesen Gründen haben die EZB in Europa und die Fed in den USA weitere Zinserhöhungen bisher nicht ausgeschlossen. Die Fed kündigte jedoch kürzlich an, bei ihrer Juni-Sitzung eine Pause bei den Zinserhöhungen in Erwägung zu ziehen und erst bei ihrer Juli-Sitzung die Zinsen eventuell weiter anzuheben. Wird es die letzte Erhöhung in diesem Zyklus sein? Es gibt einige Hinweise, die für diese Annahme sprechen. In Europa liegt die EZB weiter hinter der Fed. Sie hatte später als die Fed begonnen, auf die steigende Inflation zu reagieren. Daher wird die EZB wahrscheinlich später als die Fed ihren laufenden Zinserhöhungszyklus beenden. Dennoch gehen wir – basierend auf den Hinweisen, die die Notenbanker den Märkten gegeben haben – davon aus, dass der Weg größtenteils hinter uns liegt und wir uns dem Zinshöhepunkt nähern.

2. Sind Anleihen auf diesem Zinsniveau wieder attraktiv?

Seit mehr als zehn Jahren haben die Erträge von Anleihen hauptsächlich auf stetig sinkenden Renditen basiert. Noch vor 15 Monaten war die laufende Rendite deutscher zehnjähriger Staatsanleihen negativ. Kuponzahlungen schienen ein Phänomen der fernen Vergangenheit zu sein. Mittlerweile rentieren deutsche Bundesanleihen bei 2,3 % und italienische zehnjährige Staatsanleihen (BTPs) bei mehr als 4,0 %. Das sind gute Nachrichten für Anleiheinvestoren. Obwohl real betrachtet – wenn man die Inflation berücksichtigt – die Rendite von Staatsanleihen immer noch im negativen Bereich liegt. Aufgrund des starken Zinsanstiegs war das Jahr 2022 eines der schlechtesten Jahre für Anleihekäufer. Jetzt, da die nominalen Renditen positiv  sind und die Leitzinsen in absehbarer Zeit ihren Höchststand zu erreichen scheinen, sind Anleihen wieder zu einer erwägenswerten Anlage geworden.

Aufgrund ihres Renditevorteils gegenüber Staatsanleihen bevorzugen wir Unternehmensanleihen. Insbesondere im Hinblick auf Euro-Unternehmensanleihen ist die angebotene Risikoprämie im Vergleich zum langfristigen Durchschnitt attraktiv. Gleichzeitig erscheinen die Kreditrisiken beherrschbar. In einigen Sektoren (z. B. Immobilien) können die Ausfallraten steigen. Trotz höherer Zinsen, einem verlangsamten Wirtschaftswachstum und weiter gestiegenen Inputkosten geht die Ratingagentur S&P beispielsweise davon aus, dass die Ausfallrate europäischer Hochzinsanleihen von 2,8 % (März 2023) auf 3,6 % im März 2024 eher moderat steigen wird. Die allgemeinen Aussichten jedoch bleiben recht solide.

3. Wird die hohe Staatsverschuldung in den entwickelten Ländern die Märkte belasten?

Die entwickelten Länder leiden allesamt unter einer hohen Staatsverschuldung. Nachdem die Welt von außergewöhnlichen Ereignissen wie der Corona-Pandemie oder dem russischen Krieg gegen die Ukraine heimgesucht wurde, starteten die politischen Entscheidungsträger großzügige Hilfsprogramme. Ohne diese Programme wären Privathaushalte, Handwerker, Selbstständige und Unternehmen von den wirtschaftlichen Folgen des Lockdowns hart getroffen worden.          

In den USA lag die Staatsverschuldung Ende 2022 bei 25,1 Billionen Dollar, die Schuldenquote erreichte 121,2 %. In der Eurozone betrug die Staatsverschuldung 12,2 Billionen Euro Ende 2022 und die Schuldenquote lag bei 91,6 %.

Zwar liegen diese Quoten weit über der Schuldengrenze von 60 % des BIP, die europäische Regierungen einst als Schwelle für ihre Staatsverschuldung in der Eurozone festgelegt hatten. Aber die Höhe selbst beunruhigt uns nicht übermäßig, da diese Schulden durch eine Reihe außergewöhnlicher Ereignisse gerechtfertigt waren. Die erhöhte Kreditaufnahme hat wahrscheinlich dazu beigetragen, eine schwere Rezession in den entwickelten Ländern zu vermeiden. Nun wird es jedoch immer wichtiger, diese Schulden durch eine disziplinierte Haushaltspolitik abzubauen und die Staatsausgaben so zu steuern, dass sie die Wirtschaft in ihren Ländern stärken.

4. Sind die Aktienmärkte überbewertet?

Aktien, besonders in den USA, sind unserer Meinung nach seit der jüngsten Marktrally nicht mehr günstig bewertet. Zudem schwächt sich die Entwicklung der Unternehmensgewinne angesichts der hohen Inflation und einer möglichen Rezession etwas ab. Die Inflation scheint ihren Höhepunkt erreicht zu haben. Dennoch bleibt die Kerninflation hartnäckig hoch, was eine längerfristige Straffung der Geldpolitik erforderlich machen könnte und somit auch ein Risiko für die Erträge darstellt.

Auch die Stabilität der Banken bleibt ein Risiko. In dieser gemischten Situation gewichten wir Aktien in unserer Vermögensallokation weiterhin leicht unter. Die Märkte bleiben anfällig, zumal die Bewertungen wieder anspruchsvoller geworden sind. Dabei sehen wir attraktive Renditen an den Anleihemärkten, die bei der Umsetzung unserer aktuellen Strategie eine große Hilfe sein werden.

5. Sollten Anleger KI-Aktien in ihrem Portfolio haben?

Künstliche Intelligenz (KI) ist mehr denn je in das öffentliche Bewusstsein gedrungen. Die Präsentation von ChatGPT im November 2022 zeigte, wie Computer künftig mithilfe von KI autonom Texte schreiben können. Im vergangenen Jahr noch mieden Börsenanleger Technologieaktien, da sie als äußerst anfällig gegenüber steigenden Zinsen galten. In diesem Jahr ist ein Großteil des Anstiegs des S&P 500-Aktienindex auf Technologieunternehmen zurückzuführen, die vom erwarteten Ende der Zinserhöhungen sowie von der Begeisterung über KI-Innovationen profitierten.

Wir schätzen den Aufstieg von KI und Digitalisierung als einen Megatrend an den Finanzmärkten ein. KI verändert Geschäftsmodelle, unsere Arbeitsweise und die Art und Weise, wie wir menschliche Kreativität nutzen. Aus Sicht der Finanzmärkte ist es allerdings wichtig, Augenmaß zu wahren. KI und Digitalisierung werden sowohl Gewinner als auch Verlierer an der Börse hervorbringen.

Große Technologieunternehmen wie Microsoft (in OpenAI investiert) oder Amazon (optimale KI-Umgebung: Daten, Cloud, Nutzerbasis) sowie die weltweit größten Chiphersteller (z. B. TSMC) werden wahrscheinlich von KI profitieren. Doch jedes Geschäftsmodell muss individuell bewertet werden. Bei Investitionen in KI sind eine sorgfältige Aktienauswahl und ein disziplinierter Anlageansatz von entscheidender Bedeutung.

 

 

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Wichtige Hinweise
Dieses Dokument wurde von der ODDO BHF SE nur zu Informationszwecken erstellt. Darin enthaltene Äußerungen basieren auf den Markteinschätzungen und Meinungen der Autoren zum Zeitpunkt der Veröffentlichung. Diese können sich abhängig von den jeweiligen Marktbedingungen ändern. Weder dieses Dokument noch eine in Verbindung damit gemachte Aussage stellt ein Angebot, eine Aufforderung oder eine Empfehlung zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten dar. Etwaig dargestellte Einzelwerte dienen nur der Illustration. Einzelne Aussagen sind weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, eine individuelle anleger- und anlagegerechte Beratung durch hierfür qualifizierte Personen zu ersetzen. Bevor in eine Anlageklasse investiert wird, wird dringend empfohlen, sich eingehend über die Risiken zu erkundigen, denen diese Anlageklassen ausgesetzt sind, insbesondere über das Risiko von Kapitalverlusten.



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