Neueste News

EZB spielt weiter auf Zeit

Marktanalyse 07.06.2022

BLICK AUF DIE FINANZMÄRKTE

07.06.2022

Die Würfel scheinen gefallen zu sein. Die Europäische Zentralbank (EZB) steuert auf die erste Zinserhöhung seit 11 Jahren zu. In einem Beitrag für den EZB-Blog vom 23. Mai erläuterte EZB-Präsidentin Christine Lagarde die geldpolitischen Pläne. Angesichts der sehr konkreten Angaben des Lagarde-Beitrags ist davon auszugehen, dass das Vorgehen mit den Mitgliedern des EZB-Rates abgestimmt ist und beim Treffen des Rates am kommenden Donnerstag offiziell abgesegnet werden wird. Die Anleihekäufe im Rahmen des allgemeinen Ankaufprogramms (APP) sollen demnach Anfang Juli eingestellt werden, so dass noch auf der Sitzung des EZB-Rates im Juli eine erste Zinserhöhung um 0,25 Prozentpunkt beschlossen werden kann. Eine zweite Erhöhung, so Lagarde, könnte dann im September vorgenommen werden und den Einlagensatz an die Nulllinie heben. 

Jenseits des September-Termins hält sich die Notenbank vorerst bedeckt. Eine schrittweise Normalisierung der Geldpolitik im Sinne einer Annäherung an die „neutrale Rate“ sei angemessen, sofern auf mittlere Sicht eine Stabilisierung der Inflation bei 2% erkennbar sei; die EZB-Präsidentin Lagarde verweist aber auch auf die Wachstumsrisiken, die das Tempo und das Ausmaß der Anpassungen beeinflussen. 

Die EZB spielt unverändert auf Zeit. Spätestens im April war erkennbar, dass die Inflationsrate angesichts des neuen Energiepreisschocks „durch die Decke“ gehen würde. Dennoch hielt man an der geplanten aber ökonomisch nicht zwingenden Abfolge fest, Zinserhöhungen erst nach dem Ende der Anleihekäufe vornehmen zu wollen. So verzögert sich der erste Zinsschritt bis in die zweite Julihälfte. Hinzu kommt, dass die EZB auf eine Rückführung ihrer Anleihebestände vorerst verzichten will. Darüber hinaus scheint sich die EZB auf „kleine“ Zinsschritte von 0,25 Prozentpunkten beschränken zu wollen. Im Verhältnis zur Inflationsrate von zuletzt 8,1% (Mai 2022) wirkt das aus unserer Sicht wenig ambitioniert. 

Ein wesentlicher Grund für die Zurückhaltung dürfte die Sorge zu sein, dass rasche Zinsschritte der Notenbank infolge möglicher Kreditrisiken zu einem überproportionalen Ansteigen der Anleiherenditen in den oft hochverschuldeten „Peripherie-Ländern“ des Euroraums beitragen könnte. Die EZB spricht hier gerne vom Risiko einer „Fragmentierung“ des Kapitalmarkts, die die Transmission der Geldpolitik beeinträchtigen könnte. Einige Mitglieder des EZB-Rates fordern explizit, dass die EZB ein effektives Instrument vorhalten sollte, um im Fall der Fälle ein Auseinanderdriften der Anleiherenditen wirksam unterbinden zu können.

Bei aller Rücksichtnahme sollte die EZB aber dringend darauf achten, geldpolitisch nicht den Anschluss zu verlieren. Nimmt man das Niveau der kurzfristigen Realzinssätze als Indikator für den geldpolitischen Impuls, ist dieser der mit Abstand am stärksten expansive der zurückliegenden Dekade. Die reale Rendite der zweijährigen inflationsindexierten Bundesanleihe steht aktuell bei -4% (Quelle: Refinitiv).

Die EZB hat zwar ihre Inflationsprognosen im vergangenen Jahr kontinuierlich nach oben revidiert, passt ihre Geldpolitik aber nur gemächlich an. Wenn der EZB-Rat am kommenden Donnerstag die gesamtwirtschaftlichen Projektionen vorgestellt, dürfte es eine weitere Aufwärtsrevision geben. Mittlerweile sehen wir es als wahrscheinlich an, dass der Verbraucherpreisanstieg im Euroraum im Jahresdurchschnitt 2022 7% erreichen oder sogar überschreiten könnte. Die Teuerungsrate dürfte erst im Herbst 2022 ein wenig nachgeben und ab Frühjahr 2023 eine deutlichere Verlangsamung zeigen und sich, idealerweise, gegen Ende 2023 dem Inflationsziel annähern. Nach unserer Einschätzung könnte die Inflationsrate im Gesamtjahr 2023 über 3% liegen. 

Dieses Szenario unterstellt jedoch, dass sich die Preisdynamik in der zweiten Jahreshälfte 2022 deutlich beruhigen wird. Eine Garantie dafür gibt es aber nicht. Die Kernrate ohne Energie hat im Mai 2022 auf immerhin 4,6% angezogen, die Kernrate ohne Energie und Lebensmittel auf 3,8%. Momentan sieht es also so aus, dass sich der Preisauftrieb verbreitert hat. Die Unternehmen versuchen, steigende Input-Kosten zu überwälzen und ihre Margen zu sichern. 

Ob die allgemeine Preisdynamik erhöht bleibt, hängt wesentlich von der künftigen Lohnentwicklung ab. Es fällt auf, dass sich der Arbeitsmarkt des Euroraums trotz der vermehrten Wachstumsrisiken recht gut hält. Die EWU-Arbeitslosenquote liegt mit 6,8% (April 2022) auf dem niedrigsten Stand seit Beginn der Währungsunion, die Zahl der Arbeitslosen ist weiterhin leicht rückläufig. Das stärkt die Verhandlungsmacht der Arbeitnehmer und es erleichtern, die steigenden Kosten der Lebenshaltung durch höhere Lohnabschlüsse ein Stück weit zu kompensieren. Der Indikator der Tariflohnentwicklung jedenfalls zeigt für das erste Quartal 2022 bereits eine Tendenz zu höheren Lohnabschlüssen (+2,8% gg. Vorj., nach 1,6%). Signalwirkung wird vermutlich von Deutschland ausgehen, wo einige wichtige Tarifverhandlungen anstehen. 

Aus unserer Sicht nimmt die Gefahr zu, dass sich die Inflation verselbständigt. Damit ist der Handlungsbedarf der EZB, deren Auftrag die Sicherung der Preisstabilität ist, klar gegeben. Allerdings hat die Straffung der Geldpolitik ihren Preis: Sie dämpft das Wachstum weiter, das schon durch die Kaufkraftverluste im Gefolge des Energiepreisschocks, die erhöhte Unsicherheit und eine schwächere Auslandsnachfrage belastet ist. Die Gefahr einer Rezession ist unbestreitbar, zumal das Grundtempo des Wachstums im Euroraum eher niedrig (und die Schwelle zur Rezession daher nah) ist. Hinzu kommt, dass die Energieversorgung nicht gesichert ist. Vor allem das Winterhalbjahr 2022/23 kann in dieser Hinsicht zu einer Herausforderung werden.

Im ersten Quartal 2022 allerdings konnte der Euroraum einen kleinen Anstieg des realen Bruttoinlandsprodukts von 0,3% (gegen Vorquartal) verzeichnen, und das zweite Quartal könnte ähnlich enden. In diese Richtung jedenfalls deuten Umfrageergebnisse, beispielsweise die Einkaufsmanagerindizes oder, für Deutschland, das ifo-Geschäftsklima. Zwar entwickelt sich das verarbeitende Gewerbe eher schwach (Industrieproduktion, Industrievertrauen), doch der Auftragsbestand in der Industrie wird überwiegend günstig eingeschätzt und das Dienstleistungsgewerbe, das von der fortschreitenden Lockerung der Corona-Beschränkungen profitiert, kompensiert einige Schwächen. 

Die Abwägung der Risiken rechtfertigt nach unserer Überzeugung eine schärfere Gangart der Geldpolitik, insbesondere wenn man den Rückgang der Realzinsen berücksichtigt. Mit einer Erhöhung der Leitzinsen um 50 Basispunkte im Juli könnte die EZB ein deutliches Signal setzen, wir rechnen jedoch nicht mit einem solchen Schritt. Allerdings gehen wir davon aus, dass sich die EZB dem Druck der Inflationszahlen nicht entziehen kann. Der Anstieg der Leitzinssätze wird sich deshalb im vierten Quartal 2022 fortsetzen. Bis zum Jahresende 2022 dürfte der Einlagensatz auf 0,5% steigen, bis Ende 2023 in die Größenordnung von 1,5%. Das wäre aber noch weit davon entfernt, restriktiv zu sein. Sollten sich die Aussichten für die Inflationsentwicklung zusätzlich verschlechtern, beispielsweise wenn sich monatlichen Preisanstiege nicht in der erhofften Weise verringern sollten, würden wir auch mit darüber hinaus gehenden Leitzinsanhebungen rechnen. 

 

download.jpgErfahren Sie mehr


 

Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Die Rendite kann infolge von Währungsschwankungen steigen oder fallen. Etwaige Meinungsäußerungen geben die aktuelle Einschätzung des Investment Office der ODDO BHF AG wieder, die sich insbesondere von der Hausmeinung innerhalb der ODDO BHF Gruppe unterscheiden und ohne vorherige Ankündigung ändern kann.

 

WICHTIGE INFORMATION

Die vorliegende Publikation (nachfolgend: „Publikation“) darf weder insgesamt, noch in Teilen reproduziert, weitergegeben oder veröffentlicht werden. Die Publikation ist nicht für Kunden oder andere Personen mit Sitz, Wohnsitz, gewöhnlichem Aufenthaltsort oder Greencard in bzw. für die USA, Kanada oder anderen Drittstaaten bestimmt und darf insbesondere nicht an diese Personen weitergegeben bzw. in diese Länder eingeführt oder dort verbreitet werden.

Die Publikation ist eine Kundeninformation der ODDO BHF Aktiengesellschaft (nachfolgend „ODDO BHF“) im Sinne des Wertpapierhandelsgesetzes. Die Publikation wurde durch die ODDO BHF erstellt und dient ausschließlich Informationszwecken. Es handelt sich hierbei um Werbung und nicht um eine Finanzanalyse. Die Publikation wurde nicht unter Einhaltung der Rechtsvorschriften zur Förderung der Unabhängigkeit von Finanzanalysen erstellt und die in der Publikation enthaltenen Informationen unterliegen nicht dem Verbot des Handels im Anschluss an die Verbreitung von Finanzanalysen.

Weder die Publikation noch irgendeine in Verbindung hiermit gemachte Aussage stellt ein Angebot, eine Aufforderung oder eine Empfehlung zum Erwerb oder zur Veräußerung von Finanzinstrumenten dar. Insbesondere berücksichtigt die Publikation nicht Ihre persönlichen Umstände und Verhältnisse und ist somit für sich allein genommen weder dazu geeignet noch dazu bestimmt, eine individuelle anleger- und anlagegerechte Beratung zu ersetzen.

Soweit in der Publikation Meinungen Dritter wiedergegeben werden, sind diese Positionen nicht notwendigerweise in Einklang mit den Positionen der ODDO BHF und können diesen ggf. sogar widersprechen.

Die Publikation enthält Informationen, welche die ODDO BHF für verlässlich hält, für deren Verlässlichkeit die ODDO BHF jedoch keine Gewähr übernehmen kann. Die ODDO BHF übernimmt weder eine rechtliche Verbindlichkeit, noch garantiert sie die Aktualität, Vollständigkeit und Fehlerfreiheit des Inhalts. Zusätzlich ist die ODDO BHF nicht verpflichtet, den Inhalt zu aktualisieren, an Änderungen anzupassen oder zu vervollständigen.

Die ODDO BHF oder mit der ODDO BHF verbundene Unternehmen können mit Emittenten von in der Publikation genannten Finanzinstrumenten in einer Geschäftsverbindung stehen (z.B. als Erbringer oder Bezieher von Wertpapierdienstleistungen oder Wertpapiernebendienstleistungen, etwa im Bereich des Investmentbankings). Die ODDO BHF oder mit der ODDO BHF verbundene Unternehmen, können im Rahmen solcher Geschäftsverbindungen Kenntnis von Informationen erlangen, die in der Publikation nicht berücksichtigt sind. Darüber hinaus können die ODDO BHF oder mit der ODDO BHF verbundene Unternehmen Geschäfte in oder mit Bezug auf die in der Publikation angesprochenen Finanzinstrumente getätigt haben (insbesondere solche im Rahmen der Finanzportfolioverwaltung für andere Kunden). Für nähere Informationen zu möglichen Interessenkonflikten wenden Sie sich bitte an Ihren zuständigen Ansprechpartner oder     [email protected]

Alle innerhalb der Publikation genannten und ggf. durch Dritte geschützten Marken und Warenzeichen unterliegen uneingeschränkt den Bestimmungen des jeweils gültigen Kennzeichenrechts und den Rechten der jeweiligen eingetragenen Eigentümer. Allein aufgrund der bloßen Nennung ist nicht der Schluss zu ziehen, dass Markenzeichen nicht durch Rechte Dritter geschützt sind.

Vergangene Wertentwicklungen, Simulationen oder Prognosen sind kein zuverlässiger Indikator für die Zukunft. Einige Aussagen der Publikation sind in die Zukunft gerichtet. Derartige Prognosen sind kein verlässlicher Indikator für künftige Wertentwicklung. Diese Aussagen basieren auf aktuellen Einschätzungen und unterliegen Risiken und Unwägbarkeiten, welche die aktuellen Resultate grundlegend verändern können. Bei bestimmten Finanzinstrumenten kann es zu einem Totalverlust kommen und der Verlust kann das eingesetzte Kapital sogar übersteigen. Wechselkursbewegungen können den Wert eines Investments erhöhen oder senken und manche Finanzinstrumente können eingeschränkt liquide oder illiquide sein.

Die ODDO BHF untersteht der Aufsicht der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin), Graurheindorfer Straße 108, 53117 Bonn und Marie-Curie-Straße 24-28, 60439 Frankfurt am Main sowie der Europäischen Zentralbank,     Sonnemannstraße     20, 60314 Frankfurt am Main. Die ODDO BHF erbringt weder rechtliche noch steuerrechtliche Beratungsleistungen. Soweit solche Gesichtspunkte berührt werden, handelt es sich ausschließlich um allgemeine Meinungsäußerungen oder Anregungen, die eine Einschätzung der ODDO BHF zum Zeitpunkt der Publikation wiedergeben. Wir empfehlen Ihnen, rechtliche und steuerliche Berater hinzuziehen, insbesondere zum Zweck der Überprüfung der Geeignetheit bestimmter Produkte.