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Ukraine-Konflikt: Hintergründe und Risiken

Marktanalyse 31.01.2022

MARKANSICHTEN

31.01.2022

 

„Lage ist alles.“ Was bei Immobilien gilt, gilt auch in der Geopolitik. Aufgrund von 2.295 Kilometern gemeinsamer Grenze ist die Ukraine für Russland von zentraler strategischer Bedeutung. Durch einen NATO-Beitritt der Ukraine – der aktuell gar nicht auf der Agenda des westlichen Verteidigungsbündnisses steht, wohl aber von der Ukraine angestrebt wird – verlöre Russland einen wichtigen Pufferstaat an den geopolitischen Gegenspieler, die USA. Aus russischer Sicht muss eine weitere Beschneidung seiner traditionellen Einflusssphäre unbedingt verhindert werden. Der jüngste russische Truppenaufmarsch, die Diskussion möglicher Sanktionen des Westens sowie der Abzug von Botschaftspersonal ist vor dem Hintergrund dieses neuen Ost-West-Konflikts zu sehen. Dieser verursacht zwangsläufig Kollateralschäden. Getroffen werden vor allem die ukrainische Souveränität, die europäischen Gasspeicher und russische Aktien.

Hintergrund – Das Versprechen an Gorbatschow

Für seine Zustimmung zur deutschen Wiedervereinigung 1990 soll Michail Gorbatschow von den USA die mündliche Zusicherung erhalten haben, dass sich die NATO nicht weiter nach Osten ausdehnen wird. Angedacht war ein Puffer neutraler Staaten zwischen Russland und der NATO. Falls es eine solche mündliche Vereinbarung tatsächlich gab, dann wurde sie nicht eingehalten. Mittlerweile sind alle früheren Mitgliedsstaaten des Warschauer Pakts (Bulgarien, Polen, Rumänien, Tschechien, Slowakei und Ungarn), eine Mehrzahl der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawiens, Albanien sowie die baltischen Staaten, die ehemals dem Territorium der Sowjetunion angehört hatten, der NATO beigetreten. Diese „NATOisierung“ seines früheren Einflussgebiets deutet Russland als geostrategische Umklammerung durch die USA und die verbündeten NATO-Staaten. Als 2014 auch die Ukraine nach Westen zu driften begann, schritt Russland ein. Nach der Abdankung Janukowitschs 2014 und der Wahl eines prowestlichen Präsidenten (Petro Poroschenko, jetzt: Volodymyr Zelensky) entschloss sich Wladimir Putin, seine geopolitischen Interessen mit militärischen Mitteln durchzusetzen. Daher die Unterstützung der Separatisten im Donbass und die völkerrechtswidrige Annexion der Krim, auf der die russische Schwarzmeerflotte stationiert ist.
Die 2014 und 2015 unter Vermittlung von Deutschland und Frankreich geschlossenen Waffenruhen (Minsk I und Minsk II) wurden immer wieder gebrochen. Nun scheint Russland die Zeit reif zu sehen für eine „Arrondierung“ seines Einflussbereichs und dem Trend zur Osterweiterung der NATO Einhalt zu gebieten. Über die vergangenen Monate nun hat Russland über 100.000 Soldaten an der Grenze zur Ukraine zusammengezogen. Die Kräfteverhältnisse erscheinen momentan günstig für Russland, langfristig hat Russland aber nicht die Kraft, um im geopolitischen Spiel auf Augenhöhe mit den USA und der NATO mitzuspielen. Ein Blick auf die wichtigsten wirtschaftlichen und militärischen Kennzahlen zeigt, warum. Das BIP der USA ist 14-mal größer, die Welt handelt in US-Dollar (USD), niemand will Rubel. Die USA gaben 2020 778 Mrd. USD fürs Militär aus, Russland 62 Mrd. USD. Die USA unterhalten über 750 Militärbasen weltweit, Russland etwa 20.¹

Festung Russland und Europas Abhängigkeit vom Gas

Angesichts der globalen Dominanz der USA verfolgt Russland seit einigen Jahren das Ziel, seine wirtschaftliche Abhängigkeit vom Westen zu reduzieren (Strategie „Festung Russland“), vor allem vom US-Dollar und dem Finanztransaktionsnetzwerk SWIFT. Die Absicht ist, westlichen Sanktionen den Zahn zu ziehen und geopolitisch weniger angreifbar zu sein. Damit hatte Russland beachtlichen Erfolg. Die Währungsreserven sind auf 620 Mrd. USD gestiegen, von denen nur noch 16% in USD gehalten werden, der Staatsfonds (National Wealth Fund) ist mit 190 Mrd. USD gut gefüllt, die Staatsschuldenquote liegt bei sehr niedrigen 20% des BIP und die Auslandsverschuldung der Unternehmen hat sich seit 2014 fast halbiert. Begünstigt wird diese Entwicklung durch einen hohen Ölpreis von aktuell 88 USD pro Fass (Stand: 25.01.2022), der deutlich über den 43 USD pro Fass liegt, die Russland für einen ausgeglichenen  Staatshaushalt braucht. ² Mit dem Financial Messaging System der Bank of Russia (SPFS) wurde zudem eine robuste Alternative zu SWIFT entwickelt. Die Erfolge haben aber auch ihren Preis: Niedriges Wachstum. Im Durchschnitt ist Russland seit 2015 real um 0,9% gewachsen. Kein guter Wert für ein aufstrebendes Schwellenland. Der Grund: Es wird zu wenig investiert. Der Staat macht Überschüsse, und aus dem Ausland will man kein Geld für Investitionen.
Zusätzlich setzt Russland die Abhängigkeit Westeuropas von russischem Öl und Gas als geopolitische Waffe ein. Russland liefert etwa 40% des europäischen Verbrauchs von Erdgas. Damit lässt sich erklären, warum britische Waffenlieferungen an die Ukraine deutschen Luftraum meiden und die USA mit Katar über zusätzliche Gaslieferungen für Europa verhandeln. Russlands Wirtschaft ist jedoch nicht autark. Russland ist zweitgrößter Öl- und größter Erdgasexporteur der Welt. Umgekehrt kamen 2020 rund ein Drittel der russischen Warenimporte aus der EU. Wenn Russland Europa den Gashahn abdreht, leidet Europa kurzfristig. Auf längere Sicht nimmt aber vermutlich auch die russische Wirtschaft erheblichen Schaden.

Reaktion der Märkte – Russische Aktien leiden

Die Reaktion der Finanzmärkte auf die Krimkrise 2014 blieb weitgehend auf Russland beschränkt. Graphik 1 zeigt, dass während der Annexion der Krim vor allem der russische Leitindex MOEX Russia Index gelitten hat. Der DAX gab mit 5% nur wenig nach, der S&P 500 legte sogar leicht zu.

Graphik 1: DAX, S&P 500 und MOEX Russia Index; 31.12.2013-30.06.2014; Quelle: Bloomberg

 

Und wie sieht es heute aus? Seit Jahresbeginn hat der MOEX Russia Index mit 14% am meisten verloren. Der S&P 500 gab um 9% nach, der DAX nur um knapp 5% (Stand: 25.01.2022). Für die Aktienmärkte sind die geopolitischen Preiseinflüsse allerdings schwer zu isolieren, da diese momentan weltweit nachgeben und die Märkte vor allem auf die restriktivere Geldpolitik der Fed reagieren.
Gerade bei der Analyse geopolitischer Konflikte, macht es Sinn, in Szenarien zu denken. Die Hoffnung bleibt, dass ein Krieg abgewendet wird. Ein Szenario ist, dass Putin weiter die Ukraine destabilisiert und versucht, ein ihm genehmes Regime in der Ukraine zu installieren. Die Wahrscheinlichkeit eines begrenzten regionalen Konflikts in der Ostukraine nimmt mit dem Aufmarsch der Truppen an der Grenze zu. Sanktionen könnten zu einer weitreichenden Unterbrechung der Energielieferungen führen, auf die Europa im hohen Maße angewiesen ist. Dies würde zu einem Anstieg der Energiepreise insbesondere für Erdgas führen angesichts der gering gefüllten Erdgaslager in Europa und möglicherweise zu Störungen der Energieversorgung. Eine solche Entwicklung hätte vermutlich signifikante Auswirkungen auf die wirtschaftliche Aktivität. Die Schäden für die russische Seite wären ebenfalls beträchtlich, der russische Aktienmarkt würde dramatisch einbrechen. Man kann derzeit leider nicht mehr ausschließen, dass Europa – wie in Christopher Clarks Buch „Die Schlafwandler“ beschrieben – abermals nachtwandlerisch in einen militärischen Konflikt schlittert angesichts des Aufmarsches an Militär, einer zunehmend aggressiveren Rhetorik und eines komplexen, intransparenten Konflikts. Die ökonomischen Konsequenzen wären groß. Bis zur Lösung dieses Konflikts bleibt die Spannung an den Märkten und damit die Volatilität hoch.

Quellen:
1) SIPRI Military Expenditure Database; American University Digital Research Archive; The Polish Institute of International Affairs 2) Financial Times (18.01.2022): Moscow’s sanction-proofing efforts weaken western threats

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