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Europäische Aktien: Die Aktien der Alten Welt sind wieder gefragt

Marktanalyse 18.01.2023

BLICK AUF DIE FINANZMÄRKTE

Januar 2023

 

Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF

Europäische Aktien haben Rückenwind. Schaut man auf die Marktentwicklung seit Anfang des vierten Quartals 2022, dann heben sich die Aktienmärkte diesseits des Atlantiks deutlich positiv von den US-Märkten ab. Die wichtigsten europäischen Indizes verzeichneten im vierten Quartal zweistellige Gesamtrenditen: Der DAX 40 beispielsweise lag mit 14,9%, der französische CAC 40 mit 12,6%, und der italienische FTSE MIB mit 15,6% im Plus in EUR. Im Vergleich damit kam der S&P 500 auf ein „mageres“ Plus von 7,6% und der technologielastige NASDAQ Composite-Index verlor im vierten Quartal 2022 -0,8% in USD. Und die Outperformance europäischer Aktien hält auch Anfang des Jahres an. 
Die relative Stärke der europäischen Märkte kommt nicht von ungefähr. Vor allem vier Faktoren sind dafür nach unserer Einschätzung entscheidend.

Zum einen hat sich die Situation an den europäischen Energiemärkten im Laufe der letzten Wochen und Monate zumindest vorläufig entspannt. Die Erdgas-Versorgungslage scheint für diesen Winter gesichert zu sein. In Deutschland beispielsweise liegt der Füllstand der Erdgaslager nach Angaben der Bundesnetzagentur bei wieder üppigen 91 Prozent. Vor diesem Hintergrund haben sich die europäischen Erdgaspreise deutlich zurückgebildet. Derzeit liegen sie sogar leicht unter Niveau zu Beginn des Jahres 2022, vor dem Einmarsch russischer Truppen. Damit sind die wirtschaftlichen Probleme zwar nicht erledigt. Das Energiepreisniveau ist noch immer wesentlich höher als im langfristigen Durchschnitt. Und die höheren Großhandelspreise arbeiten sich nun schrittweise zu den Verbrauchern durch. Der Rückgang der realen Einkommen der Haushalte und das steigende Zinsniveau bremsen die Nachfrage. Aber die gefährlichsten Szenarien für Europa, beispielsweise eine „Gasmangellage“, haben an Bedeutung verloren. Die Verbesserung des sehr negativen Sentiments gegenüber Europa beflügelt die europäischen Aktienmärkte. 

Ein zweiter Faktor ist die bemerkenswert robuste Gewinnentwicklung in Europa. Aktuell liegen die Gewinnschätzungen (Gewinn pro Aktie) für den Euro STOXX für das Jahr 2022 fast 13% höher als zu Jahresbeginn 2022, als eine Krise noch weit weg erschien. In den USA sieht das etwas anders aus: Die Gewinnschätzungen für 2022 für den S&P 500 wurden im Jahresverlauf um knapp 2% gesenkt (Quelle: I.B.E.S.). Die Gewinnschätzungen für 2023 zeigen ein vergleichbares Muster: Die Gewinnschätzungen für amerikanische Aktien (S&P 500) wurden seit Mitte des letzten Jahres Schritt für Schritt nach unten korrigiert. Im Vergleich mit den Erwartungen zu Jahresbeginn 2022 liegen die aktuellen Schätzungen um 8% niedriger. Die Analysten erwarten, dass die Gewinnmargen in den USA fallen. 

Ein dritter Faktor ist die attraktive Bewertungssituation, die europäische Aktien für langfristig orientierte Investoren wieder attraktiv erscheinen lässt. Das aktuelle Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) europäischer Aktien liegt wieder unter dem langfristigen Durchschnitt der letzten 20 Jahre. Das Kurs-Buchwert-Verhältnis (KBV), das gerade in Krisenphasen ein stärkerer Indikator sein kann, liegt derzeit bei etwa 1,6 und damit ebenfalls unter dem langfristigen Durchschnitt. In den USA dagegen sind die Bewertungen noch immer deutlich anspruchsvoller: Der KGV für den S&P 500 liegt mit knapp 17 noch immer erkennbar über dem 20 Jahres-Durchschnitt von 15,8; das KBV mit 3,9 erheblich über seinem langfristigen Durchschnitt. Während der Zusammenhang zwischen der Bewertung von Aktien und deren zukünftigen Renditen über kurze Zeiträume (z.B. über ein Jahr) gering ist, zeigen zahlreiche Studien, dass Aktien über fünf oder zehn Jahren eine deutlich höhere zukünftige Rendite aufweisen, wenn die Bewertungen niedrig sind. Für langfristig orientierte Investoren lohnt sich damit wieder der Blick nach Europa trotz der geringeren Innovationsdynamik hierzulande.

Ein vierter Faktor, der europäische Aktien interessant erscheinen lässt, ist das veränderte Währungsbild. Der Angebotsschock infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine im Februar des letzten Jahres hat dazu geführt, dass die typischen Fluchtwährungen wie der US-Dollar und Schweizer Franken sich stark aufgewertet haben. Die geringere Nähe und Anfälligkeit der US-Wirtschaft im Hinblick auf die politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Krieges in der Ukraine und die aggressiven Zinserhöhungen der Fed hatten dem US-Dollar im letzten Jahr kräftige Zuflüsse beschert. Diese Argumente haben nach unserer Überzeugung an Zugkraft verloren. Die Europäer dürften den Winter 2022/23 ohne allzu große Verwerfungen überstehen. Die Märkte sehen das Ende der Zinserhöhungen in den USA im zweiten Quartal kommen. Der Zinserhöhungszyklus wird in Europa vermutlich länger andauern. Nimmt man langfristig bedeutsame fundamentale Kriterien wie Leistungsbilanzsalden und Kaufkraftparitäten und politische Faktoren (z.B. Reduzierung von Dollar-Währungsreserven in Russland und China) mit ins Bild, dann erscheint eine Abschwächung des US-Dollars wahrscheinlich. 
Eine Verbesserung des sehr negativen Sentiments gegenüber europäischen Aktien infolge des Abklingens der Energiekrise, die bisher robuste Gewinnentwicklung in Europa, das langfristig wieder attraktive Bewertungsniveau europäischer Aktien und eine mögliche Aufwertung des Euros nach Ende des Angebotsschocks: Es gibt zahlreiche Gründe wieder etwas positiver Richtung Europa und dessen Finanzmärkte zu blicken. Man sollte die Alte Welt halt nicht zu früh abschreiben.

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