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Die EZB agiert in einem schwierigen Spannungsfeld

Marktanalyse 07.06.2024

 

Prof. Dr. Jan Viebig CIO ODDO BHF SE

 

 

 

 

Die Zinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) vom Donnerstag war nicht so selbstverständlich, wie es den Anschein hat. Die europäischen Währungshüter hatten sich schon früh darauf festgelegt, auf dieser Juni-Sitzung des geldpolitischen Rats die Leitzinsen um 0,25 Prozentpunkte zurückzunehmen. Der Einlagesatz liegt nun bei 3,75 Prozent. Von dieser Erwartung wären sie kaum noch weggekommen, ohne größere Verwerfungen an den Märkten auszulösen. Die aktuelle Datenlage zeichnet allerdings kein Bild, das einen Zinsschritt zwingend gemacht hätte. Doch wie so oft ist Geldpolitik eine Frage der Abwägung. Es hätte durchaus Gründe gegeben, die Leitzinsen noch etwas länger unverändert zu belassen.

 

Schließlich hält sich die Inflation im Euroraum hartnäckig, hartnäckiger als anfangs gedacht. Im Mai 2024 lag die Teuerungsrate im Euroraum nach einer ersten Schätzung von Eurostat bei 2,6 Prozent, nach 2,4 Prozent im April 2024. Die Kerninflation im Euroraum, in deren Berechnung die Preise für Energie und Lebensmittel ausgeklammert werden, stieg im Mai 2024 auf 2,9 Prozent, nach 2,7 Prozent im April 2024. Besonders im Bereich der Dienstleistungen ist der Preisauftrieb mit 4,1 Prozent im Mai 2024 nach wie vor stark. Für das kommende Jahr 2025 hat die EZB ihre Prognose von bisher 2,0 Prozent auf 2,2 Prozent angehoben. Das ist ein Schwachpunkt in der Argumentation der EZB: Die Inflationsprognose anzuheben und gleichzeitig die Zinsen zu senken – das passt schlecht zusammen.

 

Auch die regionale Spreizung der Inflation im Euroraum ist aktuell ungewöhnlich hoch. Für Deutschland beziffert das europäische Statistikamt Eurostat die Inflationsrate im Mai 2024 auf 2,8 Prozent. In Belgien jedoch liegt sie bei 4,9 Prozent und in Spanien bei 3,8 Prozent. Am unteren Ende liegt beispielsweise Italien mit nur 0,8 Prozent. Diese regionalen Unterschiede können die europäischen Geldpolitiker in ihren Entscheidungen nicht vollkommen ausblenden.

 

Es wird mit Sicherheit noch einige Anstrengung kosten, die Inflationsrate wieder auf das mittelfristige Inflationsziel von 2 Prozent zurückzuführen. Seit Oktober 2023, als die Inflationsrate im Euroraum bei 2,9 Prozent lag, sind keine nennenswerten Fortschritte im Kampf gegen die Inflation erreicht worden. Dies spricht dafür, dass die europäische Geldpolitik bis auf Weiteres im restriktiven Bereich verharren wird. „Wir mildern das Ausmaß der Beschränkungen“, sagte EZB-Gouverneurin Christine Lagarde am Donnerstag auf der Pressekonferenz. „Sehr ungewiss ist, wie schnell wir reisen und wie lange es dauern wird“, sagte Lagarde weiter und fügte an: „Ich sage Ihnen nur, dass wir ausreichend Daten benötigen und dass diese im Laufe der Zeit nach und nach eintreffen.“ Die Reaktion an den Finanzmärkten zeigt, dass die EZB im Rahmen der Erwartungen agiert hat. Die Marktteilnehmer haben ihre Erwartungen in Bezug auf weitere Zinssenkungen nur leicht zurückgenommen. An den Märkten wird damit gerechnet, dass die EZB in diesem Jahr allenfalls noch eine weitere Zinssenkung beschließen könnte, möglicherweise eine zweite.

 

 

 

 

 

 


 

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