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Europa: eine Rezession scheint unausweichlich

Marktanalyse 20.09.2022

WIRTSCHAFTSAUSBLICK

15.09.2022

 

Bruno Cavalier – Chief economist ODDO BHF

 

 

WESENTLICHE PUNKTE:

  • Der russische Gas-Lieferstopp und die restriktive Geldpolitik der EZB lassen diesen Winter eine Rezession unvermeidlich erscheinen.
  • Der Höhepunkt der europäischen Inflation mit Werten von knapp über 10% dürfte noch vor uns liegen.
  • Der Policy-Mix ist angesichts der extremen geldpolitischen Straffung durch die EZB auf der einen Seite und der umfassenden Hilfspakete der Regierungen auf der anderen Seite wenig kohärent.

 

 

Was haben Wladimir Putin und die EZB gemeinsam? Beide scheinen darauf hinzuarbeiten, die europäische Wirtschaft in die Rezession zu treiben. Selbstverständlich nicht aus denselben Gründen.

Wladimir Putin geht es darum, einem Gegner, der die Wirtschaft seines Landes mit schweren Sanktionen belegt hat, so viel Schaden wie möglich zuzufügen. Die Aussetzung der Gaslieferungen nach Europa treibt die Energiepreise in die Höhe. Diese Maßnahme könnte in vielen Ländern eine soziale Krise auslösen und die amtierenden Regierungen derart schwächen, dass sie – so Putins Kalkül – dazu gezwungen wären, die Sanktionen aufzuheben oder ihre Unterstützung der Ukraine zurückzufahren. Das ist reine Erpressung. 

Der EZB geht es nicht darum, die europäische Wirtschaft zu schwächen, sondern darum, die Inflation zu bekämpfen. Die Rezession wird dabei als notwendiges Übel betrachtet. Die EZB spricht offen über eine schmerzhafte Entscheidung zwischen Wachstum und Inflation. Sie strafft ihre Geldpolitik in einem bislang ungekannten Tempo mit einer Zinserhöhung um 50 Basispunkte im Juli und einer weiteren um  75 Basispunkte im September. Und sie kündigte weitere bedeutende Erhöhungen für die kommenden drei oder vier Sitzungen an. 

Die europäische Wirtschaft geriet im Sommer immer weiter unter Druck. Im Folgenden befassen wir uns damit, was dies perspektivisch für Inflation, Wachstum und Wirtschaftspolitik bedeutet. 

 

Bei der Inflation überwiegen weiterhin die Aufwärtsrisiken. Während es in den USA und China leichte Anzeichen für eine Dämpfung der Inflation gibt, ist dies im Euroraum bisher nicht der Fall. Im August erreichte der Preisanstieg mit 9,1% gegenüber dem Vorjahr einen neuen Rekord. Und es besteht Grund zu der Annahme, dass damit noch nicht der Höhepunkt erreicht ist. Bis Anfang 2023 rechnet man mit einer zweistelligen Inflationsrate.

Zum einen sind die Großhandelspreise für Strom und Gas auf das 10- bis 20-fache des Normalniveaus gestiegen. Auch wenn die Verbraucherpreise reguliert sind und in geringerem Maße reagieren, bleibt der Aufwärtstrend bestehen, und die Maßnahmen zum Schutz der Verbraucher dürften in den kommenden Monaten abnehmen. 

Darüber hinaus gibt es Anzeichen für einen starken Preisanstieg in anderen Bereichen, wie z. B. für Lebensmittel und bestimmte Dienstleistungen. Der schwache Euro trägt dazu bei, dass Importe in US-Dollar teurer werden. Im Gegenzug entspannen sich die Lieferketten etwas. Die Nachfrage nach Industrieerzeugnissen, die während der pandemiebedingten Beschränkungen sprunghaft gestiegen war, sinkt etwas, nachdem fast alle Länder (mit Ausnahme Chinas) langsam zur Normalität zurückgekehrt sind. Durch den Rückgang des Verkehrs im internationalen Handel gibt es weniger Lieferstaus, und die Kosten für Fracht, Industrierohstoffe, Öl usw. sind deutlich gesunken. Aber sowohl bei steigenden als auch bei fallenden Preisen dauert es immer eine Weile, bis die Erzeugerpreise bei den Verbrauchern ankommen.

 

Beim Wachstum überwiegen die Abwärtsrisiken. Bereits nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine im Februar sanken die Indikatoren für das Geschäftsklima, und dieser Rückgang verstärkte sich im Laufe des Sommers noch weiter. In vielen Ländern des Euroraums wurde inzwischen die Schwelle zum Eintritt in die Rezession überschritten (Diagramm). Die Handelsbilanz bei Energieprodukten verschlechterte sich im Vergleich zu 2019 um rund 4 BIP-Punkte. In der Vergangenheit war ein Schock auf die Realeinkommen in dieser Höhe stets mit einer Kontraktion der Wirtschaftsaktivität und der Nachfrage verbunden

Für einige Unternehmen ist es tatsächlich besser, die Produktion zurückzufahren, anstatt mit Verlust zu produzieren. Davon betroffen sind besonders energieintensive Sektoren wie Chemie, Metallurgie, Papier- oder Glasherstellung. In Deutschland entfallen auf diese Branchen 20% der Wertschöpfung und 80% des Energieverbrauchs des Industriesektors. Das Ausbleiben von Gaslieferungen aus Russland bringt ihre Geschäftsgrundlage ins Wanken. Besonders im bevorstehenden Winter besteht das Risiko von Engpässen und Blackouts.

Es gibt noch viele andere Gründe, die Anlass zur Sorge geben: Verbraucher, die mit einem deutlichen Kaufkraftverlust konfrontiert sind, ein Immobiliensektor, dem der rasche Zinsanstieg zusetzt, und Banken, die bei der Kreditvergabe vorsichtiger werden. Tatsächlich ist der einzige Bereich, in dem die europäische Wirtschaft noch Stärke zeigt, der Arbeitsmarkt. Nach sechs Monaten durchgehend schlechter Stimmung in der Wirtschaft ist bisher keine Wende bei den Einstellungsplänen zu beobachten. 

In der Wirtschaftspolitik stellt sich dagegen ein ganz neues Problem. Inflationsschock und Rezessionsrisiko erfordern diametral entgegengesetzte Reaktionen: Straffung auf der einen Seite, Lockerung auf der anderen. Darin besteht der wesentliche Unterschied zur pandemiebedingten Krise. Damals wurden Fiskal- und Geldpolitik gemeinsam gelockert, da keine Inflationsgefahr bestand. In der Energiekrise bietet sich nichts dergleichen an. Die EZB wird alles tun – und vielleicht sogar zu viel –, um zu zeigen, dass sie ihren Auftrag zur Inflationsbekämpfung konsequent verfolgt.


Auf der anderen Seite bemühen sich die Regierungen, die Auswirkungen zu mildern, so gut sie können.

Die diversen Notfallmaßnahmen belaufen sich bisher auf insgesamt rund 2,5 BIP-Punkte.

Diese „Aufgabenverteilung“ ist unsicher und lässt keinen schnellen Aufschwung im Frühjahr erwarten.

 


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