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Stagflation: Konsequenzen für die Finanzmärkte

Marktanalyse 13.06.2022

BLICK AUF DIE FINANZMÄRKTE

13.06.2022

Prof. Dr. Jan Viebig

Global Co-CIO ODDO BHF 

 

WESENTLICHE PUNKTE

 

  • Das Risiko einer Rezession ist gestiegen. Wir präferieren defensive Aktien.
  • Die Wirtschaft wird sich abkühlen, was zu negativen Anpassungen der Gewinnschätzungen in den nächsten Quartalen führen könnte.
  • Die kurzfristigen Zinsen werden weiter steigen und die Zinsstrukturkurven werden sich vermutlich weiter verflachen.



"Machen Sie sich auf einen wirtschaftlichen Hurrikan gefasst“, warnt Jamie Dimon, der CEO von JP Morgan.

Ob es ein kleiner Sturm oder ein Hurrikan mit schweren Verwüstungen werden wird, sei freilich nicht ausgemacht.  Und in der Tat: Die globale Wirtschaft erlebt derzeit einen Angebotsschock, der zu ökonomischen Verwerfungen führen könnte. Die ökonomischen Konsequenzen eines Angebotsschocks führen zu sechs Effekten, die man wie folgt beschreiben kann: Die steigenden Rohstoffpreise infolge des Ukraine-Konflikts führen, erstens, zu einem sprunghaften Anstieg der Inflation. Der Anstieg der Inflation wirkt, zweitens, wie eine „Ölsteuer“: Wer mehr an der Zapfsäule ausgibt, hat weniger Geld für den Kauf anderer Güter und Dienstleistungen verfügbar. Die hohe Inflation führt, drittens, früher oder später zu steigenden Zinsen. In den USA werden die Zinsen dieses Jahr vermutlich fünf bis sieben Mal angehoben, in Europa werden wir die erste Zinserhöhungen vermutlich im Juli und September 2022 sehen. Steigende Zinsen führen, viertens, zu niedrigeren Investitionen und einer Wachstumsverlangsamung. Infolge eines Angebotsschocks steigt, fünftens, die Unsicherheit in der Wirtschaft, beispielsweise infolge steigender Inputkosten, Lieferkettenproblemen oder steigenden Kreditausfällen. Eine mögliche weitere Folge ist, sechstens, eine Lohn-Preis-Spirale, wenn die Gewerkschaften einen Ausgleich für die steigende Inflation in Form höherer Löhne durchsetzen können.

Mit anderen Worten: Es droht Stagflation. Die Märkte müssen sich auf eine Wachstumsverlangsamung bei hoher Inflation einstellen. Es steht nun beiderseits des Atlantiks eine 8 vor dem Komma: In den USA liegt die jährliche Inflation Ende April bei 8,3%, für die Eurozone schätzt Eurostat die annualisierte Verbraucherpreisinflation auf 8,1% Ende Mai 2022. Die Wahrscheinlichkeit, dass die USA eine Rezession in den nächsten 12 Monaten erleben wird, ist zuletzt gestiegen. Sie liegt aber weiterhin bei nur knapp über 30%.  In Europa kühlt sich die Wirtschaft deutlicher als in den USA ab. Eine Rezession wäre in Europa unvermeidbar, wenn ein Embargo für russisches Gas verhängt oder Russland kein Gas mehr liefern würde.

Die derzeitige ökonomische Situation erinnert – bei allen Unterschieden, die historische Vergleiche stets mit sich bringen – an die Lage im Jahr 1973/1974. Damals war Arthur Burns der Chef der Federal Reserve. Die Geldpolitik unter Burns wird heute weithin als zu zögerlich erachtet, auch weil Burns dem Druck des damaligen U.S. Präsident Richard Nixon nachgab, der vor einer Wiederwahl stand und niedrige Zinsen forderte. Die Fed hob nach dem ersten Ölpreisschock die Zinsen zu spät und zu langsam an und verhinderte nicht, dass die gestiegenen Inflationserwartungen zu höheren Löhnen führten. Die Situation heute erscheint ähnlich: Der Krieg in der Ukraine führt zu einem Energiepreisschock. Der Preis der Rohölsorte Brent ist von rund 70 USD vor einem Jahr auf nun 120 USD gestiegen. Zudem haben die umfangreichen Stimulus-Maßnahmen unter den Präsidenten Trump und Biden die Inflation beflügelt. Nach der „Taylor-Regel“ handelt die Fed auch heute zu spät und zu zögerlich, da die tatsächliche Inflation weit über der angestrebten Inflation liegt und die Wirtschaft in den USA stark ausgelastet ist. Die hohe Inflation wird die beiden große Zentralbanken – die Fed und die EZB – mit hoher Wahrscheinlichkeit dazu zwingen, die Zinsen über den neutralen Zinssatz, der in den USA bei rund 2,5% und in Europa bei ungefähr 1,5% liegt, zu erhöhen. Zudem hat die Federal Reserve angekündigt, dass sie ihre Bilanz durch eine quantitative Straffung reduzieren und dem Markt so Liquidität entziehen wird. Die Anleger sind gut beraten, sich auf ein Ende der Ära des billigen Notenbankgeldes vorzubereiten.

Die Inflation wird angesichts der hohen Energiepreise vermutlich langsamer fallen, als die Zentralbanken beiderseits des Atlantiks zu Beginn des Jahres erwartet hatten. Eine kurze Duration bei Anleihen ist aus unserer Sicht weiter angezeigt. Die kurzfristigen Zinsen werden deutlich steigen und die Zinsstrukturkurven flacher werden. Flache oder inverse Zinsstrukturkurven deuten oftmals auf eine steigende Rezessionswahrscheinlichkeit hin. Da die Wahrscheinlichkeit einer Rezession steigt, bleiben wir bei High Yield Anleihen weiter vorsichtig. In der Vergangenheit hat es sich als klug erwiesen, in High Yield erst dann zu investieren, nachdem die Rezession bereits eingesetzt hat und die Renditen stark angestiegen sind. So weit sind wir noch nicht. Defensive Value Aktien werden sich vermutlich weiter besser als teure Wachstumsaktien entwickeln in einem Umfeld steigender Zinsen. In den folgenden Quartalen könnten Lieferkettenprobleme und steigende Kosten zu vermehrtem Margendruck führen. Wir setzen daher auf Investments in Unternehmen, die eine hohe Preissetzungsmacht aufweisen. Wir bleiben weiterhin grundsätzlich vorsichtig positioniert und halten die Aktienquoten unter den mit unseren Kunden abgesprochenen neutralen Quoten. Einen ersten Lichtblick bietet China: Die jüngsten Nachrichten aus dem Reich der Mitte deuten darauf hin, dass die Politik Stimulierungsmaßnahmen ergreifen und die strikte No-Covid Politik lockern wird. Wie gesagt: Es ist weiterhin ungewiss, ob wir einen milden Sturm oder einen schweren Hurrikan zu erwarten haben.

 

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