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Kryptowährungen in der Krise
BLICK AUF DIE FINANZMÄRKTE
25.05.2022
Die zunehmende Öffnung der traditionellen Finanzdienstleistungen für digitale Produkte hatte den Kyptowährungen im Jahr 2021 einen kometenhaften Aufstieg beschert. Im Januar 2021 hatte PayPal bekannt gegeben, man werde
künftig auch den Kauf und Verkauf von Kryptowährungen ermöglichen. Im Februar ließ Elon Musk wissen, dass Tesla für 1,5 Mrd. US$ Bitcoins gekauft habe und künftig auch Bitcoins akzeptieren werde. Mitte
April 2021 legte Coinbase, eine Handelsplattform für Kryptoprodukte, einen fulminanten Börsenstart hin: Das Unternehmen wurde an der NASDAQ mit 85 Mrd. US$ bewertet (was ungefähr der aktuellen Kapitalisierung der Allianz
SE entspricht). Im Mai 2021 wurden an der Chicago Mercantile Exchange (CME) Terminkontrakte auf Bitcoin und Ether eingeführt, im Oktober 2021 schließlich wurde der erste Exchange Trade Fund (ETF) auf Bitcoin – genauer
gesagt: den Bitcoin Future – von der US-Börsenaufsicht zugelassen.
Parallel dazu explodierte die sogenannte „Marktkapitalisierung“ der Kryptowährungen: Anfang 2021 hatte diese bei 751 Mrd. US$ gelegen, bis Mitte 2021 verdoppelte sie sich fast auf 1,41 Bio. US$. Am 9. November 2021
hatte sie sich ein weiteres Mal auf rund 2,93 Bio. US$ verdoppelt (Quelle: CoinMarketCap). Bitcoin hat zwar an relativer Bedeutung verloren, ist aber mit einem Anteil von 40 bis 50% nach wie vor das Zentralgestirn am Krypto-Himmel.
Entsprechend spiegelt der Kursverlauf „Bitcoin in US$“ die kometenhafte Entwicklung: Von Beginn des Jahres bei rund 29.200 US$ stieg der Bitcoin-Kurs in der Spitze, am 9. November 2021, auf 67.688 US$.
Dem steilen Aufstieg folgte eine heftige Implosion. Zu Jahresbeginn 2022 war die Kapitalisierung der Kryptowährungen um rund 700 Mrd. US$ auf 2,24 Bio. US$ geschrumpft, der Bitcoin-Kurs auf knapp 46.000 zurückgefallen. Nach einem kleinen Zwischenhoch Ende März 2022 beschleunigte sich der Absturz nochmals, bis Mitte Mai verflüchtigte sich eine weitere Billion US$. Nach dem Desaster der Kryptowährungen Terra und Luna liegt der Gesamtwert aller Kryptowährungen derzeit noch bei knapp 1,30 Bio. US$. Der Bitcoin-Kurs ist unter 30.000 US$ zurückgefallen.
Was sind die Lehren aus der Entwicklung der letzten Monate? Zum einen die, dass Kryptowährungen und „digitale Assets“ bei weitem nicht so speziell sind, wie sie gerne glauben machen. Die Krypto-Wirtschaft ist längst nicht mehr (nur) die virtuelle Spielwiese libertärer Tech-Enthusiasten, unabhängig von den „Legacy Assets“ des konventionellen Finanzsystems. Vergleicht man die Kursentwicklung der NASDAQ und die Preise der wichtigsten und liquidesten Kryptowährungen, so sieht man einen verblüffenden Gleichlauf, insbesondere in der Abwärtsbewegung seit November letzten Jahres (siehe Abbildung).
Das lässt vermuten, dass die Triebkräfte hinter beiden Märkten ähnlich sind: Beide Märkte sind hochspekulativ, die Werte leben von einer „vielversprechenden“ Investment-Story mit meist technologischem Hintergrund. Die Krypto-Kreationen repräsentieren zwar im Unterschied zu Aktien keine Eigentumsrechte im strengen Sinn, sie ermöglichen allerdings eine finanzielle „Teilhabe“ an einem sich entwickelnden virtuellen „Ökosystem“. Viele der meist technikaffinen und risikobereiten Anleger dürften deshalb sowohl im Aktienmarkt als auch in Kryptowährungen engagiert gewesen sein, beide Assetklassen also als relativ enge Substitute verstehen. Von außen begünstigt wurden die starken Kursgewinne vieler NASDAQ-Werte und Kryptowährungen zudem durch das Zinsumfeld und die reichlich verfügbare Liquidität. Denn niedrige Zinssätze ermöglichen hohe Bewertungen, weil den erwarteten Gewinnen der fernen Zukunft ein höherer Wert in der Gegenwart zugerechnet werden kann.
Mit der zunehmenden Verschärfung der US-Geldpolitik ab November kamen beide Assetklassen unter Druck. Steigende Renditen und höhere Risikoprämien ließen die Kurse der teils sehr üppig bewerteten Technologietitel an der NASDAQ wie auch der Kryptowährungen fallen. Verluste bei den Kryptowährungen dürften die Verluste der NASDAQ verstärkt haben (beispielsweise bei der Handelsplattform Coinbase, deren Geschäftserfolg mit den Umsätzen in Kryptowährungen eng verknüpft ist). Umgekehrt dürften Verluste am Aktienmarkt zu Verkäufen von Bitcoin und anderen Kryptowährungen beigetragen haben, um Verluste auszugleichen.
Kryptowährungen traten angesichts steigender Inflationsraten und geopolitischer Krisen gerne als Alternative zu den als „Legacy Assets“ geringgeschätzten traditionellen Anlageinstrumenten auf. Enthusiasten sahen in ihnen einen sicheren Hafen oder auch eine neue, digitale Form des Goldes. Die Entwicklungen der vergangenen Monate unterstützt diesen Anspruch nicht. Wenn sich digitale Aktiva eher wie spekulative Aktien verhalten, ist von Kryptowährungen im Portfoliozusammenhang kein wesentlicher Beitrag zur Risikoreduktion zu erwarten. Eher im Gegenteil: Die sehr großen Kursschwankungen könnten die Risiken erhöhen. Ein sicherer Hafen sieht anders aus.
Eine zweite Lehre scheinen die Anleger aus den jüngsten Turbulenzen um Terra, eine sogenannte „Stablecoin“ zu ziehen: Dass es sich lohnt, zwischen mehr oder weniger transparenten Konzepten von Kryptowährungen zu unterscheiden. „Stablecoins“ sind konzeptionell dafür ausgelegt, dass der Wert gegenüber einer traditionellen Währung – meist dem US-Dollar – stabil bleibt. Auf diese Weise soll Geld innerhalb des Krypto-Universums sicher geparkt werden können. Stablecoins werden beispielsweise als Gegenseite für Transaktionen in Bitcoin und anderen Währungen verwendet, um die Effizienz und Liquidität des Handels zu erhöhen, aber fungieren beispielsweise auch als Sicherheit für Kredite.
Es geht dabei nicht um Kleingeld. Ende April belief sich die Marktkapitalisierung aller Stablecoins auf rund 185 Mrd. US$, gut 10 % des Werts der umlaufenden Kryptowährungen. Knapp die Hälfte davon, 83 Mrd. US$ entfallen auf Tether, gefolgt von USD Coin (49 Mrd. US$). Auf Platz 3 und 4 mit einem Umlauf von jeweils rund 18 Mrd. US$ folgten Terra und Binance USD. Ab dem 9. Mai 2022 setzte bei Terra ein beispielloser Kursverfall ein. Aktuell wird der Kurs von Terra mit 0,09 US$ angegeben, der Marktwert mit gut 1 Mrd. US$ (siehe Abbildung).
Was war passiert? Zunächst muss man wissen, dass die Wertsicherung von Terra nicht durch Reserven, sondern über einen Algorithmus erfolgen sollte. Es gab eine Schwesterwährung, Luna, die zu flexiblen Preisen gehandelt wurde; der Algorithmus bestand darin, dass für 1 Terra immer Luna im Wert von 1 US$ geliefert werden mussten. Durch Arbitrage sollte dann der Wert des Terra stabil gehalten werden.
Das System funktionierte genau so lange, wie der Wert des Luna stieg. Anfang April 2022 wurden in der Spitze 116 US$ für einen Luna bezahlt, der Marktwert übertraf 40 Mrd. US$. Als der Markt dann drehte, mussten zur Deckung der Terra immer mehr Luna emittiert werden. Das wiederum befeuerte den weiteren Verfall des Luna. Aktuell wird der Kurs des Luna mit 0,02 US Cent ausgewiesen.
Man fragt sich, was die Investoren zuvorderst in die Terra-Luna-Konstruktion getrieben hat. Die Vorgänge haben allerdings dazu geführt, dass die Anleger die Fundamente der Stabilität ihrer Stablecoins genauer zu hinterfragen beginnen. Infolgedessen hat Tether erheblich Federn lassen müssen; der Kurs gegenüber dem US-Dollar bewegt sich immer wieder leicht unter 1 US$, und der Umlauf fiel aufgrund von Abflüssen um rund 10%. Umgekehrt verzeichnete USD Coin deutliche Zuflüsse (siehe Abbildung).
Tether wie auch USD Coin erheben den Anspruch, dass der Umlauf durch Reserven in Form sicherer traditioneller Anlageinstrumente gedeckt sei. Während allerdings USD Coin eine monatlich testierte Bilanz veröffentlicht, gibt sich Tether zugeknöpft. Man halte Cash, Staatsanleihen und Schuldtitel von Unternehmen, so die Auskunft. Die genaue Zusammensetzung sei die „geheime Sauce“ des Unternehmens, so der Chief Technology Officer Paolo Ardoino gegenüber der Financial Times. Nimmt man hinzu, dass Tether schon früher von der New Yorker Staatsanwaltschaft eine Geldbuße wegen Irreführung von Anlegern aufgebrummt bekommen hatte, haben die Terra-geschockten Anleger durchaus Grund, vorsichtig zu werden.
Das ist möglicherweise ein Hinweis darauf, dass sich die Wild West-Ära der Kryptowährungen dem Ende zuneigt. Je mehr sich Kryptowährungen von einem Nischenprodukt zu einer breit genutzten Klasse „digitaler
Assets“ wandeln, desto lauter werden die Rufe nach Regeln und Standards, insbesondere im Bereich des Anlegerschutzes. Zugleich nimmt die systemische Bedeutung des Marktes zu, wie die Zusammenhänge mit dem Aktienmarkt
unterstreichen. Die US-Notenbank jedenfalls beobachtet die Entwicklung der Kryptowährungen kritisch, und auch der US-Kongress scheint sich in Richtung Regulierung zu bewegen.
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