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Interview mit Prof. Dr. Jan Viebig in Institutional Money
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INSTITUTIONAL MONEY, 12.12.2022
Er gilt als Mann der offenen Worte. Deshalb ist es kein Wunder, dass Jan Viebig, CIO des französisch-deutschen Bankhauses ODDO BHF, mit seinen hintergründig pointierten Kommentaren zu den Zusammenhängen von Wirtschaft und Finanzmärkten regelmäßig für Aufmerksamkeit sorgt. Wir haben ihn in seinem Frankfurter Büro zum Gespräch getroffen, um unter anderem über eine zum Teil schon wieder kolportierte Zeitenwende an den Anleihenmärkten zu sprechen. Davon seien die Märkte noch weit entfernt, glaubt der habilitierte Wirtschaftswissenschaftler, der vielmehr von einem „Higher for longer“ bei den Zinsen ausgeht – unter anderem weil die Notenbanken mit Zinserhöhungen zur Eindämmung einer aus dem Ruder laufenden Inflation viel zu lang gewartet haben.
IM: Herr Viebig, Mitte Oktober haben Sie Investoren geraten, ihr Pulver noch trocken zu halten. Sehen Sie mit einer erfreulich zurückgegangenen Inflationsrate in den USA inzwischen Licht am Ende des Tunnels?
Jan Viebig: Ich muss Sie enttäuschen. Aber ich kann Ihnen sehr genau sagen, wann wir glauben, dass wieder Licht am Ende des Tunnels zu erkennen sein wird. Wir dürfen nicht vergessen, dass wir es gerade mit dem zweiten schweren Schock zu tun haben, den die Wirtschaft zu verkraften hat. Nach dem großen Nachfrageschock, den wir durch die Covidkrise erfahren haben, erleben wir aktuell einen Angebotsschock, ausgelöst durch die Knappheit bei der Gasversorgung und einen immensen Anstieg der Energiepreise. Die Folgen dieser beiden Ereignisse führen aber zu durchaus unterschiedlichen Entwicklungen an den Finanzmärkten. Nach dem Coronacrash haben wir eine sehr schnelle Erholung erlebt, die sich am Ende eher als V- denn als U-förmiger Verlauf gezeigt hat. Bei einem extremen Schock, wie wir ihn derzeit durch den Rückgang des Angebots erleben, geht das mit der Erholung aber nicht so schnell.
IM: Warum?
Jan Viebig: Ein Angebotsschock geht in der Regel erst dann zu Ende, wenn die Core- Inflation, die die sehr volatile Preisentwicklung von Nahrung und Energie ausschließt, höher ist als die gröbere Headline-Inflation. Dazu müssten die Energiepreise im Jahrüber- Jahr-Vergleich nicht mehr so stark steigen wie die Inflation. Und das wird vermutlich erst im Februar, eher im März der Fall sein.
IM: Woran machen Sie das fest?
Jan Viebig: Die Entwicklung des Ölpreises ist ein guter Indikator dafür. Im März dieses Jahres lag der Ölpreis bei rund 120 US-Dollar. Anhand der Notierungen an den Forwardmärkten lässt sich ablesen, dass der Ölpreis zu Beginn des kommenden Frühjahrs wahrscheinlich zurückgehen wird, wenn kein unerwartetes Ereignis auftreten sollte. Das ist typischerweise der Zeitpunkt, an dem die konjunkturdämpfende Wirkung eines solchen Angebotsschocks zu Ende geht. Damit ist aber noch nicht die für einen Investor entscheidende Frage beantwortet, wann er wieder investieren sollte.
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» Erschienen in der Institutional Money am 12. Dezember 2022