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Ausblick auf die Finanzmärkte im Jahr 2024

Marktanalyse 15.12.2023

Prof. Dr. Jan Viebig Global Co-CIO ODDO BHF

 

 

Im zu Ende gehenden Jahr 2023 ist die Inflation in Europa und den USA spürbar zurückgegangen. Damit ist an Finanzmärkten die Erwartung auf erste Zinssenkungen von Fed und EZB im kommenden Jahr 2024 aufgekommen. Wir erwarten keine schwere Rezession, doch die gesamtwirtschaftlichen Wachstumsperspektiven für das Jahr 2024 werden sich nach 10 Zinserhöhungen in Europa und 11 Leitzinsanpassungen in den USA eintrüben. Wie schon im Jahr 2023 sollte sich die Wirtschaft in den USA etwas besser entwickeln als im Euroraum. Die OECD, die Ende November ihre neuen Prognosen veröffentlicht hat, erwartet für die USA nun eine Verlangsamung des Wachstums auf rund 1,5 Prozent, für den Euroraum eine leichte Belebung auf rund 0,9 Prozent.

Wenn sich diese Einschätzung bestätigt, könnten sich im weiteren Verlauf des Jahres tatsächlich sowohl in Europa als auch in den USA Spielräume für erste Leitzinssenkungen ergeben. Die Marktteilnehmer, die gerne von einem Extrem ins andere fallen, sehen derzeit für das nächste Jahr Zinssenkungen um 1,25 Prozentpunkte in den USA und 1,5 Prozentpunkte im Euroraum voraus. Dies erscheint uns angesichts der noch immer hohen Kerninflation (4,0 Prozent in den USA im Oktober 2023 und 3,6 Prozent im Euroraum im November 2023) auf der einen, und deutlich steigender Arbeitskosten (4,3 Prozent in den USA im dritten Quartal 2023 und 4,6 Prozent im Euroraum im zweiten Quartal 2023) auf der anderen Seite, etwas zu aggressiv.

Dennoch dürfte die Geldpolitik im neuen Jahr einen Kurswechsel vollziehen.

Trotz der jüngsten Rückgänge bewegen sich die Anleiherenditen weiterhin auf Niveaus, die man in Europa und den USA über viele Jahre nicht gesehen hatte. Wer auf diesem Niveau längerfristig investiert, sichert sich nach unserer Überzeugung eine interessante Rendite. Insofern tendieren wir grundsätzlich zu Anleihen mit längeren Laufzeiten beziehungsweise, im Portfoliozusammenhang, zu einer etwas überdurchschnittlichen Duration. Darüber hinaus könnten sich durch Leitzinssenkungen Chancen auf Kursgewinne ergeben.

Die Erholung der Renditen bedeutet auch, dass Mischportfolien wieder attraktiver sind. Die Phase der Null- und Negativzinsen ist vorbei. Angesichts des jüngsten Anstiegs der Renditen investieren wir wieder stärker in länger laufende Anleihen. Die veränderte Renditelandschaft dürfte dazu beitragen, dass diese künftig eine größere Rolle in der Portfoliostrategie der Anleger einnehmen. Das gilt umso mehr, als sich die Korrelation zwischen Aktien und Anleihen normalisieren sollte.

Wir erwarten, dass die aufgrund des Angebotsschocks stark gestiegene positive Korrelation zwischen Aktien und Renten wieder abnehmen wird. Dadurch wird der diversifizierende, sprich risikosenkende, Effekt einer Beimischung von Renten in ein gemischtes Portfolio wieder zunehmen. 2024 könnte daher ein erfolgreiches Jahr für Multi-Asset Lösungen werden.

Anfang November hatten wir unsere Positionierung am Aktienmarkt von leicht untergewichtet auf neutral heraufgesetzt, die Aktienquoten also angehoben. Angesichts der kräftigen Kursgewinne im November war dies eine gute Entscheidung. Die neutrale Positionierung entspricht unserer Wahrnehmung, dass Risiken und Chancen an den Aktienmärkten derzeit relativ ausgewogen sind. Auf der einen Seite sind die Wachstumsaussichten verhalten. Zudem lastet die Verschärfung der Finanzierungsbedingungen auf den Unternehmen, und die schwächere Nachfrage erschwert die Überwälzung der steigenden Zins- und Arbeitskosten. Der Druck auf die Margen könnte also zunehmen. Auf der anderen Seite dürften die Aktienmärkte im neuen Jahr vom Ende der Zinserhöhungen und von wahrscheinlich sinkenden Zinssätzen profitieren. Zudem wird sich das Gewinnwachstum (Gewinn pro Aktie) nach Einschätzung der Analysten im nächsten Jahr beschleunigen. Und schließlich sind die Bewertungen nicht generell hoch. Die Kurs-Gewinn-Verhältnisse für den S&P 500 oder den Euro STOXX beispielsweise liegen aktuell in der Nähe ihrer langfristigen Durchschnitte und sind in einigen Bereichen des Marktes durchaus attraktiv.

Allerdings sollte man bei der Aktienauswahl auch im nächsten Jahr selektiv bleiben. Zyklische Werte beispielsweise, die besonders anfällig gegen konjunkturelle Risiken sind, sollte man meiden, und sich auf defensive Titel sowie aus unserer Sicht auf Qualitätsaktien und Wachstumswerte konzentrieren. Wir bevorzugen Unternehmen, die unter anderem eine hohe Kapitaleffizienz aufweisen, mäßig verschuldet sind und an langfristigen Wachstumstrends teilhaben. Wir denken hier vor allem an den Technologiesektor, insbesondere im Umfeld von Künstlicher Intelligenz, aber auch an den Gesundheitssektor, der von demographischen Faktoren profitiert, oder an den Luxusgüterbereich, der von steigenden Einkommen in den Schwellenländern getragen wird.

Neben den Unsicherheiten über die wirtschaftliche Entwicklung sind auch für das Jahr 2024 einige exogene Faktoren zu bedenken. Der Krieg in der Ukraine und die Auseinandersetzungen in Gaza bleiben zentrale Risikofaktoren. Die Wahlen im Januar 2024 in Taiwan könnten zu erneuten Spannungen zwischen China und Taiwan führen. Darüber hinaus steht uns vermutlich ein aufregendes Wahljahr in den USA bevor. Bei den Demokraten deutet alles auf eine erneute Kandidatur des amtierenden Präsidenten Joe Biden hin. Bei den Republikanern zeigen die Umfragen derzeit einen weiten Vorsprung von Donald Trump, der sich aber noch in mehreren Gerichtsprozessen verantworten muss. Seine Wahl im November 2024 könnte zu einer weiteren Polarisierung in den USA und einem Ende der amerikanischen Unterstützung für die Ukraine führen.  Eine immer engere Integration Europas wäre die richtige Antwort auf die wachsenden geopolitischen Risiken, die die Volatilität an den Märkten im Jahr 2024 bestimmen werden.


 

 

 

 

 

 

 

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